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Utopee – Toiletten für alle

Veröffentlichung: April 2022
Quellen: Leslie Kern – Feminist City, Lezlie Lowe – No Place to Go – How Public Toilets Fail Our Private Needs

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Wir wollen ein feministisches Stadtbild? Dann lasst uns übers Pinkeln sprechen!

Toiletten – kostenlos, sauber und barrierefrei – im öffentlichen Raum sind sie ein blinder Fleck. Ihr auffinden gleicht einer Schatzsuche. Wer eine gefunden hat, kann sich kaum als Glückspilz sehen. Öffentliche Toiletten, sofern sie wirklich für alle und kostenlos sind, sind meist weder von außen noch von innen ansprechend. Interessant ist, dass das Problem der öffentlichen Toiletten in den privaten Teil der Stadt ausgelagert wurde.
Cafés, Kaufhäuser, Kinos oder öffentliche Gebäude boten bisher den Ort, den wir zur Erfüllung unseres Grundbedürfnisses doch so dringend benötigen. Selbstverständlich nicht ohne die Hürde von Toilettenpersonal, Bezahlungen oder extra verschlossenen Türen zu nehmen. Doch was tun, wenn all diese Orte plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen? Die Coronapandemie hat das Problem der fehlenden öffentlichen Toiletten als blinden Fleck offensichtlich gemacht. Zumindest für den Teil der Menschen, die sich ein sauberes Klo in einem Kaufhaus oder einem Café leisten konnten. Für alle anderen war dieses Problem immer schon ein reales.

Doch warum ist das Thema Toiletten so wichtig? Was hat dieses mit Teilhabe und einem feministischen Stadtbild zu tun? Und wieso ist Pinkeln somit sogar politisch?
Spannende Fragen die man nicht auf den ersten Blick mit den vergessenen öffentlichen Toiletten in Verbindung bringt.
Wo wir eigentlich auch gleich ansetzen können, denn warum sind diese Toiletten eigentlich vergessen? Pinkeln ist doch etwas ganz Natürliches und Zwangsläufiges. Die Journalistin Lezlie Lowe erörtert in ihrem Buch No Place to Go – How Public Toilets Fail Our Private Needs die Problematik der Verfügbarkeiten von öffentlichen Toiletten durch die Metropolen hinweg. Auf der Suche nach der Beantwortung ihrer Fragestellung, warum das Modell der öffentlichen Toilette nicht funktioniert, stößt sie auf die Erkenntnis, dass bereits im viktorianischen Zeitalter wachsende Städte das Bedürfnis nach öffentlichen Toiletten erkannt haben. Allerdings waren diese nur auf den Mann ausgelegt, da Frauen sich im privaten Bereich aufzuhalten hatten, während Männer geschäftig durch die Städte liefen. Viel getan hat sich seit dieser Erkenntnis allerdings nicht. Für männlich definierte Personen ist der Gang zur Toilette dank Pissoirs und einer gewissen Akzeptanz von Freipinkeln im urbanen Kontext kaum existent. Für Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen beispielsweise wurde das Problem einfach in private oder halbprivate Einrichtungen ausgelagert. Die gleichberechtigte Sorgearbeit für Kinder deckt das Problem nun auch für Männer auf. Ein Netzwerk an breit gestreuten, inklusiven, kostenlosen und sauberen öffentlichen Toiletten gibt es bis heute nicht.

Doch kann das Fehlen von Toiletten wirklich zu einer Ungleichberechtigung im Stadtraum führen? Definitiv ja! In dem Moment, in dem ein Mensch sich gegen eine Teilhabe im urbanen Raum entscheiden muss, da gewissen Umstände, in diesem Fall der Zugang zu öffentlichen Toiletten, ihn dazu zwingen, findet eine Diskriminierung statt. Gesunde und meist männlich definierte Personen betrifft dieses Problem in vielen Fällen nicht. Sie können den Raum für ihr Bedürfnis auf bereits aufgeführte Weise einnehmen, wenn die Infrastruktur an Toiletten ihnen nichts bietet.
Eine Stadtplanung, die eine große Anzahl ihrer Bewohner:innen die Teilhabe am öffentlichen Raum durch fehlende Toiletten verwehrt, ist kein feministisches Stadtbild. Ab dem Punkt, an dem ein Ausschluss aus dem öffentlichen Stadtbild erfolgt, wird Pinkeln zwangsläufig politisch.

Frauen sind besonders betroffenen von den fehlenden oder zu wenigen Toiletten. Sie haben von Natur aus eine kleinere Blase und müssen regelmäßig Menstruationshygiene betreiben. Zudem brauchen Frauen oft mehr Platz in den Kabinen, da sie immer noch öfter Sorgearbeit leisten und sind dementsprechend häufiger mit Kindern oder pflegebedürftigen Personen unterwegs sind. Alles keine Geheimnisse und ganz normale Vorgänge im täglichen Geschehen. Und doch werden diese Bedürfnisse nicht gesehen.

„Als ein Ort, an dem wir oft, dringend und eilig, alleine sein müssen, wirft die die Toilette – oder das Fehlen einer solchen – alle Arten von Fragen bezüglich Sicherheit, Zugänglichkeit, Geschlecht, Sexualität, Klasse, Obdachlosigkeit, Race und mehr auf.“ – Leslie Kern

Nach einem längeren Kampf von Vertreter:innen für Menschen mit Behinderung wurde zumindest schon einmal erreicht, dass neue öffentliche Toiletten immer barrierefrei geplant werden müssen. Das Problem ausreichend zur Verfügung stehender Toiletten wurde damit jedoch nicht gelöst. Und auch konnte nicht erzielt werden, dass bereits bestehende Toiletten barrierefrei umgebaut werden müssen. Doch erzielt diese Entscheidung doch schon einmal einen zukünftig inklusiveren Zugang von öffentlich Toiletten, was … ein sehr großer Erfolg ist. Nachdem die Vertreter:innen von Menschen mit Behinderungen ihre öffentliche Toilettenschlacht bereits erfolgreich geschlagen haben, übernimmt nun die queere Community und kämpft ihren Kampf um immer noch vorrangig bestehende binäre Aufteilung der Toilettenkabinen.

Wo bleibt die Lösung?

Warum es bisher noch keine andere Lösung gibt, ist fraglich.
Zum einen steckt das Thema tief in der Tabuzone fest und zum anderen rührt das Problem daher, dass viele Stadtplaner:innen und Architekt:innen männlich definierte Personen sind und sich mit den Bedürfnissen von Frauen sowie denen von Kindern, Queeren und Menschen mit Behinderungen nicht eingehend auseinandergesetzt haben. Doch das ist die Vergangenheit. Mittlerweile sprechen wir ständig über das Menstruieren und bekommen mancherorts einen Urlaubstag dafür. Wir wollen gelebte Diversität. Und wir erobern uns als Familien die Städte zurück, weil wir gleichberechtigt arbeiten und Sorgearbeit für unsere Familien leisten.
Das alles haben wir angestoßen. Und trotzdem scheitern wir immer noch an diesem natürlichen Bedürfnis.

Den Bedarf an öffentlichen Toiletten in die den privaten und somit wirtschaftlichen Rahmen zu verlagern, kann keine Lösung sein und stößt insbesondere im Teil-Lockdown an ihre Grenzen. Doch nicht nur das Problem der vorübergehenden Schließungen der Toiletten ist gravierend. Öffentliche Toiletten in den privatwirtschaftlichen Raum auszulagern, ermöglicht einmal mehr Ausgrenzung. Dabei ist Pinkeln ein Grundbedürfnis und der Zugang zu Toiletten sollte für jede:n gewährleistet sein, egal welcher Klasse, Alter, Geschlecht, etc.

Viele Probleme würden sich bereits lösen, indem wir uns, wie die queere Community fordert, von der binären Geschlechtertrennung verabschieden würden und statt kleiner aneinandergereihter Kabinen und dazugehöriger Waschräume, auf vollständig abgegrenzte Unisex Einzelkabinen mit integriertem Waschbecken setzen würden.
Damit würde man einen Großteil der Bedürfnisse bereits bedienen. Alle jedoch nicht. Denn Unisex Kabinen kosten nicht nur mehr Platz, sie schließen auch wieder Personengruppen aus, z. B. diejenigen, die sich in einer Unisex-Toilette nicht wohlfühlen oder deren Religion eine solche Nutzung verbietet.
Neben dem Problem der Art der Zugänglichkeit reihen sich munter weitere Probleme an. So stellen sich zwangsläufig die Fragen nach Sauberkeit, Sicherheit und Wartung der öffentlichen Toiletten. Und das Problem eines breit gestreuten Angebots an öffentlichen Toiletten ist damit in keinem Fall gelöst.

Maßnahmen

Wir fordern eine Stadt für alle. Und dazu gehören öffentliche, kostenlose und sauber Toiletten, um Teilhabe am Leben in der Stadt zu vereinfachen oder überhaupt erst einmal zu ermöglichen.
Die Frage was Design bewirken kann, um öffentliche Toiletten Akzeptanz zu verschaffen und so vor Verschmutzung und Vandalismus zu schützen, ist in dieser Debatte eine immanente. Denn etwas was die Menschen im Stadtbild akzeptieren, nutzen und am besten noch schön finden, wird auch sorgsamer behandelt.
Doch wie könnte eine Maßnahme rund um die öffentliche Toilette in der Realität aussehen?
Spinnen wir an dieser Stelle doch mal eine Utopee. Holen wir die öffentliche Toilette, insofern existent, raus aus ihrem graue Maus oder Kaufhaus Image, denken einen Schritt weiter und verbinden das Bedürfnis nach einer Toilette mit anderen Bedürfnissen im öffentlichen Raum oder noch besser mit einer bestehenden Infrastruktur. Kombinieren wir eine Toilette mit einer Trinkwasserstelle, einem Ort zum Rasten, einer Fahrradpumpe, Aufladestation für E-Bikes, WLAN und einer Paketstation.
Ja kreieren wir eine Tankstelle für den Menschen. Gewähren wir Teilhabe und Zugang zum urbanen Leben in der Stadt an einem Ort, der unsere Bedürfnisse befriedigt und nur für uns geschaffen wurde, ohne wirtschaftlichen Hintergrund, ohne Ausgrenzung, einfach als einen Ort zum Sein.